"Ja eh klar, dass die Abnutzungserscheinungen und Schmerzen einmal kommen müssen!", hat sich bestimmt schon einmal der eine oder andere Läufer sagen lassen können. Hhhmm.. kann sein, aber so einfach ist das nicht, vorallem dann nicht, wenn es keinen offensichtlichen Grund für Schmerzen im Hüft- und oder Rückenbereich gibt. Dieser Artikel basiert auf der Annahme, dass kein pathologischer Schaden, bzw. kein auslösendes Ereignis (zB ein Unfall, etc...), vorliegt. In diesem Fall kann der Auslöser für Probleme beispielsweise "laufsportspezifische Anpassungsstörung" sein. Gehen wir einmal davon aus, dass es sich um ein solches Phänomen handelt. Eine Anpassungsstörung kann beispielsweise Aufgrund einer zu starken Umfangs- und/oder Intensitätssteigerung im Training / Wettkampf herbeigeführt werden. Im Prinzip handelt es sich um eine klassische Überlastung mit Langzeitwirkung, oftmals im Langstreckenlaufsport zu beobachten.
Wichtiger Hinweis: Bevor wir weiter in die Thematik eindringen, ist es notwendig darauf zu achten, dass dieser Artikel nur ein sehr allgemein gehaltenes Szenario beschreiben kann. Dieser Artikel dient nicht als Anleitung zur Selbstheilung, zumindest nicht in jedem Fall. Vielmehr soll hier das Bewusstsein von Laufsportler/innen geschärft werden, welche Probleme, Ursachen und Lösungen vorhanden sein können. Die hier erwähnten Szenarien, Tipps und Hinweise treffen mit hoher Wahrscheinlichkeit auf einige grundsätzlich gesunde Laufsportler/innen zu, jedoch liegt die individuelle Diagnose bei Spezialisten, wie zum Beispiel Physiotherapeuten und Sport-Orthopäden.
Psychische Auswirkungen Aufgrund vermeintlich "unheilbarer" physischer Probleme
Gerade Laufsportler/innen mit viel Liebe und Ambitionen zu ihrer Passion verkraften so einiges und brennen für ihren Laufsport. Da wird schon das eine oder andere Mal über ein Zwicken, Stechen oder Ziehen an den obligatorisch gefährdeten Körperstellen hinweg gesehen. "Nach ein paar Tagen / Wochen Regeneration wird es schon wieder passen, Schmerzen gehören einfach dazu, um ein Held zu sein", so die vermeintliche Meinung von Risikofällen. Doch ist das wirklich so? Verstärkt wird dieses Denken durch Motivationssprüche, wie: "Schmerzen vergehen - Stolz bleibt!" oder wenn ein Held sich schlimm verletzt hat und pausieren muss, bleibt nur das armseelige Hashtag #comebackstronger um den geschundenen Geist aufrecht zu halten.
Medikamente und Sport - NIEMALS
Zahlreichen Publikationen nach zu urteilen, ist die Dunkelziffer von Hobbysportler/innen, die Schmerzmittel nehmen um halbwegs schmerzfrei laufen zu können, sehr hoch. Das zeigt in der Tat sehr besorgniserregend und deutlich auf, dass die Psyche bei physischen Problemen sehr viel beizutragen hat, vorallem in Bezug auf die Abwärtsspirale, die sich daraus ergeben kann. Auf möglicherweise gesundheitliche Folgeschäden durch Schmerzmittel-Konsum wollen wir erst gar nicht näher eingehen.
Schmerz bedeutet auch, dass der Körper uns etwas mitteilen will. Lernen wir seine Sprache richtig zu deuten!
Versuchen wir einmal, die Problematik aus einer ganzheitlichen Sichtweise zu beleuchten. Nehmen wir an, dass das Schmerzgefühl eine Art Kommunikation mit unserem Körper ist. Ein Schmerzmittel ist in dieser Sichtweise wie eine bewusste Unterbrechung der Kommunikation mit unserem Körper. Wir unterbinden somit die Bedürfnisse (quasi den Hilferuf) unseres Körpers. Ein junger, kräftiger und durchtrainierter Körper hält schon sehr viel aus und verzeiht Vieles, zumindest eine Zeit lang. Doch auch dem Stärksten wird es irgendwann zu bunt und dann tut es immer wieder einfach nur weh ...
Vernüftige Sportler/innen sind in diesem Fall schon längst bei einem Fachmann (Orthopäde, Physiotherapeut, Masseur, ...) ihres Vertrauens um die Schmerzen auf gesundem Weg in den Griff zu bekommen. Nun ist es genau in diesem Szenario (noch einmal kurz zusammenfassend: Schmerzen durch Anpassungsstörung, kein Unfall, kein pathologisches Problem, ambitionierte/r Läufer/in) oftmals auch für Fachleute sehr schwierig eine Lösung für das Problem zu finden. Zu komplex mag diese Thematik auch für viele sein, wobei die Lösung womöglich naheliegender ist, als zunächst angenommen.
Achtung vor falschen Diagnosen und Heilmethoden
Es macht durchaus Sinn, sich von Fachleuten mit viel sportartspezifischer Erfahrung behandeln zu lassen. Ein klassischer Orthopäde wird wohl kaum die richtigen Kräftigungs-, Mobilisierungs- und Dehnungsübungen verschreiben, damit weiter gesportelt werden kann. Hier ist wahrscheinlich mit Schonung zu rechnen und einem Ratschlag, den Laufsport nicht mehr - oder nur sehr limitiert - auszuüben. Schmerzen am Schambein wird gerne als Entzündung der Schambeinhaut abgetan. Eine oberflächliche Überprüfung, ob der M. Ilipsoas (Hüftbeuger) möglicherweise verkürzt ist, wird durch die klassische Extension im Hüftbereich und ein paar Fingergriffe am unteren Rumpf durchgeführt. Schmerzen am unteren Rücken und an den Becken-Seiten sind meistens mit Beckenschiefstand oder vielseitigen Dysbalancen im gesamten unteren Rumpfbereich abgetan. Da bleibt den Spezialisten oftmals nichts anderes übrig, als sich durch alle Möglicheiten der Physiologie durchzuarbeiten und mit allen möglichen Übungen am Problem herumzuschrauben.
Stopp: das ist nicht der richtige Ansatz!
Wenn die ersten Versuche des Therapeuten in absehbarer Zeit NICHT greifen, ist es bald an der Zeit, einen anderen Spezialisten aufzusuchen, um Zeit, Kosten und vorallem Nerven zu sparen. Sportler/innen sind es nicht wert, mit sich "herumexperimentieren" zu lassen. Ein wirklicher Spezialist für das Problem ist daran erkennbar, dass er nach relativ kurzer Zeit erkennt was das Problem ist und eine Lösung findet, die in wenigen Wochen bereits wesentliche Verbesserungen herbeiführt. Oftmals ist die Suche nach genau diesem Spezialisten das wirklich Aufwendige an der ganzen Thematik. Anmerkung: Jeder Therapeut hat seine Stärken und Schwächen. Es heißt nicht, dass ein vielgelobter Therapeut auch wirklich eine Garantie dafür ist, die Lösung für "mein" Problem zu haben.
Szenario: Hüft- und Rückenprobleme durch laufsportspezifische Anpassungsstörung
Tipp: Ein Röntgenbild kann möglicherweise für die Diagnose ein wertvoller Informant sein!
Nur mit der richtigen Diagnose kann eine optimale Lösung gefunden werden. So viel ist klar. Aus diesem Grund ist es wichtig, die Physiologie des Patienten genau zu kennen. Anhand des folgenden Beispiels wird verdeutlicht, warum das so wichtig sein kann:
Bei diesem Röntgenbild handelt es sich um eine erwachsene Person, die oft stundenlang im Büro und/oder Auto sitzt und regelmäßig Laufsport betreibt. Von außen kaum zu sehen, am Röntgenbild aber um so deutlicher, ist die starke Krümmung der Lendenwirbelsäule. Dies kann genetische Ursachen haben, die durch jahrelange Fehlhaltung im Alltag, einhergehend mit sportartspezifischen Faktoren, zu diesem Zustand geführt haben. Diese starke Krümmung "kann" Grund dafür sein, dass genau in diesem Bereich immer wieder Schmerzen entstehen. In diesem Fall positiv anzuerkennen ist der große Abstand der einzelnen Wirbeln, was einen Bandscheibenvorfall (vorläufig) ausschliesst.
Muskuläre Dysbalancen
Regelmäßiges Krafttraining alleine ist hier zu wenig bzw. kein Garant dafür, dass Probleme im Hüftbereich entstehen können. Und genau hier setzt die richtige Diagnose und Therapie von Spezialisten an. Die klassische Vorgehensweise von Hohlkreuz-Problemen lautet:
- Kräftigung der Gesäßmuskulatur
- Kräftigung der Rücken-, Bauch- und tiefliegenden Rumpfmuskulatur
- Dehnung der Hüftbeuger
Gut, soweit ist das einmal klar, aber welche Übungen sind speziell für diesen Probanden die Richtigen?
Eine mögliche Lösung für Probleme mit Hüfte und Rücken im Laufsport
Um diese Frage zu beantworten, beschäftigen wir uns kurz mit dem Laufsport und den möglichen physiologischen Anpassungen im Rahmen kontinuierlicher Leistungssteigerung. Es ist kein Geheimnis mehr, dass der Hüftbeuger M. Iliopsoas (ein tonischer Muskel der zur Verkürzung neigt) zu Problemen führen kann. Was anscheinend weniger bekannt ist, dass man diesen Muskel durch das Ertasten an der Rumpfvorderseite nur geringfügig einschätzen kann. Ebenso ist ein Muskelfunktionstest durch Extension (Streckung) im Becken auch zu wenig aufschlussreich, als dass eine Problematik durch den M. Ilipsoas in diesem Fall ausgeschlossen werden kann.
An dieser Abbildung sehen wir, was der M. Iliopsoas mit der Lendenwirbelsäule macht, wenn dieser in Relation zu seinen Antagonisten (M. Gluteus Maximus) zu stark (bzw. zu verkürzt) ist. Der Hüftbeuger zieht in diesem Fall die Lendenwirbelsäule weiter nach unten und begünstigt somit die bereits ausgeprägte Krümmung. Derzeit ist aus gesundheitlicher Sicht noch alles im grünen Bereich, jedoch bleibt die Frage offen: Wie lange noch? Wie lange noch kann ein Bandscheibenvorfall, Ischias-Probeme oder andere gravierendere Probleme vermieden werden. Fakt ist in diesem Fall, dass der Laufsport (und zB auch der Radsport) ohne konkrete und zielgerichtete Gegenmaßnahmen irgendwann einen wesentlichen Beitrag für eine große körperliche Beschwerde herbeiführen wird.
Wenn die klassische Hüftbeuger-Dehnung zu wenig ist
Die klassische Dehnung der Oberschenkel-Vorderseite und des Hüftbeugers in aufliegender Ausfallschrittposition kennt wohl jede/r Läufer/in. Diese Dehnübung ist in diesem Fall leider wirkungslos. Ein Orthopäde und ein Physiotherapeut (2 Spezialisten) haben den M. Iliopsoas nicht als Ursache für die Probleme des Probanden bewertet, da die Extension in der Hüfte laut Lehrbuch ausreichend ist.
Merken: Nur weil die Hüftstreckung gut funktioniert, heißt das noch lange nicht, dass der M. Iliopsoas kein Grund für Probleme ist!
Lösung: Erst eine entsprechend massivere Dehnung der Oberschenkel-Vorderseite und Streckung (Wichtig: ohne Hohlkreuz) in der Hüfte (in Rückenlage bei maximal abgewinkelten Kniegelenk) konnte in nur ein paar Wochen eine deutliche Verbesserung der Hüftprobleme bewirken. Bei jener Dehnübung werden alle Anteile des M. Iliopsoas gestreckt und somit eine echte Entlastung bewirkt.
Wenn die klassische Gesäßkräftigung wirkungslos ist
Der Klassiker unter den Gesäßkräftigungsübungen ist die Kniebeuge. Diese wird meistens im hüftbreiten Stand, mit leicht nach außen geneigten Knien und Zehenspitzen, in ihrem maximalen Bewegungsausmaß durchgeführt. Genau in diesem Fall ist die Kniebeuge im "klassischen" Sinn nutzlos. Um die richtigen Anteile der Rumpf- und Gesäßmuskulatur zu kräftigen, sollte die Kniebeuge mit geschlossenen Beinen (Knie berühren einander) in ihrem vollen Bewegungsausmaß durchgeführt werden.
Beim Beckenheben in Rückenlage gibt es ebenfalls einen wesentlichen Unterschied, der zwischen nutzlos und effektiv unterscheidet. Beim zweibeinigen Beckenheben hat der Körper die Möglichkeit zu schummeln. Durch die Rumpf- und Rückenmuskulatur wird das Gesäß dermaßen unterstützt, dass eine erforderliche Gesäßkräftigung fast ausbleibt. Mit einem kleinen Trick jedoch lässt es sich bewerkstelligen, dass der Gesäßmuskel diese Unterstützung nicht erhält:
- In Rückenlage ein Knie zum Oberkörper heranziehen und fest an den Oberkörper drücken
- Das andere Bein aufstellen
- Und nun versuchen, das Gesäß vom Boden so weit wie möglich abzuheben
Ist dies nicht, oder nur geringfügig, möglich, so besteht hier eine Dysbalance bzw. Schwäche im Gesäß, die für den Laufsport nicht ideal ist.
Wenn das Sixpack nicht ausreicht
Eine gut trainierte Bauchmuskulatur ist immer gut, nicht nur optisch. Bekanntermaßen gilt es hier zwischen verschiedenen Bauch- und Rumpfmuskelgruppen zu unterscheiden. Die für die Hüfte am relevantesten Rumpfmuskeln sind die ganz tief unten sitzenden Muskeln, die oftmals leider auch nur sehr stiefmütterlich behandelt werden. Es gibt auch nicht sehr viele Möglichkeiten, diesen Bereich zu trainieren, jedoch sehr viele Rumpfkräftigungsübungen, bei denen dieser Bereich nicht mittrainiert wird. In diesem Fall ist das Beckenkippen in Rückenlage (Beine in der Luft) durch Anspannung der untersten Rumpfmuskulatur die richtige Lösung, die aber leider oftmals falsch gemacht wird.
Lösung: Am besten ist es die Hände unter die Lendenwirbelsäule zu legen und im darauf aufgelegten Zustand die Knie senkrecht nach oben zu ziehen. Im Gedanken empfiehlt es sich eventuell die Knie nach vorne und oben zu bewegen, wobei die Bewegung wirklich senkrecht nach oben führen sollte. Damit ist gewährleistet, dass wirklich nur die unterste Rumpfmuskulatur (ohne Schummeln) gekräftigt wird.
Zusammenfassend:
Für diese Person ist die richtige Therapie ein funktionelles Training, welches ohne Weiteres zu Hause gemacht werden kann. Es sind keine Schmerzmittel und keine zahlreichen und langwierigen Arzt-Termine erforderlich. Die Herausforderung besteht darin, das Problem so genau wie möglich zu diagnostizieren und gezielt entgegenzuwirken.
- Erweiterte Dehnung der Oberschenkel und Hüftbeuger (bis zu 20 Minuten pro Einheit und Seite)
- Kräftigung der Gesäßmuskulatur durch enge Kniebeugen mit größtmöglichen Bewegungsumfang
- Kräftigung der Gesäßmuskulatur durch Beckenheben mit aufgestelltem Bein und angezogenem Knie
- Kräftigung der untersten Rumpfmuskulatur durch Beckenkippen im Liegen
Wichtig ist es, dass die empfohlenen Übungen regelmäßig in den Trainingsalltag einfließen und als komplett eigene Trainingseinheit angesehen werden. Das bedeutet auch, dass diese Übungen nicht mit anderen Trainingseinheiten (Laufen, Radfahren, anderes Krafttraining, etc ..) in einer Einheit kombiniert werden. Speziell bei der Dehnübung sollte lange davor kein Lauf- oder Radtraining stattgefunden haben. Vor einem Wettkampf empfiehlt sich eventuell die Aktivierung der Hüfte, aber keinesfalls die Dehnung, allein schon deswegen, weil eine gewisse, erwünschte Grundspannung für den Wettkampf verloren geht.
Zusätzlich unterstützend kann diese Person in einer separaten Trainingseinheit (in Kombination mit Lauftraining zB) verschiedene stabilisierende Einbeinstand-Übungen, Ausfallschritte und Schrittübungen mit dem Theraband ausüben. In Summe bewirkt das bei regelmäßiger Anwendung eine deutliche Entlastung der Lendenwirbelsäule und einer weiteren Laufsport-Karriere steht somit nichts mehr im Weg.